K. Stamm: Minger: Bauer, Bundesrat.

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Titel
Minger: Bauer, Bundesrat. Die aussergewöhnliche Karriere des Rudolf Minger aus Mülchi im Limpachtal


Autor(en)
Stamm, Konrad
Erschienen
Zürich 2017: NZZ Libro
Anzahl Seiten
428 S.
von
Christoph Zürcher

Rudolf Minger war am 12. Dezember 1929 glanzvoll in den Bundesrat gewählt worden. Knapp elf Monate später gelang ihm das Gesellenstück. Auf Einladung der Aargauer SP stellte er sich am 26. Oktober 1930 in der Industriegemeinde Gränichen einer kontradiktorischen Versammlung über die Wehrpolitik der Schweiz. Sein Kontrahent, Dr. Arthur Schmid, Fraktionspräsident im Nationalrat, vertrat die Doktrin der SP, nämlich die waffenlose Neutralität. Minger vertrat die bewaffnete Neutralität und die Wiederaufrüstung der Armee, die nach 1918 sträflich vernachlässigt worden war. Minger begann seine Rede mit der Feststellung, dass sowohl Freunde wie Gegner der militärischen Landesverteidigung letztlich dasselbe, nämlich das Wohl des Schweizervolkes im Sinne hätten. Damit schlug der ehemalige Politaktivist und Parteigründer eine Brücke zum Lieblingsgegner der Jahre nach 1918, und zwar mit grossem Erfolg. Die Basis der SP erwies sich als weit weniger doktrinär als die Parteileitung. Obwohl das 2000­köpfige Publikum zu zwei Dritteln aus Arbeitern bestand, die Minger mit der «Internationalen» begrüssten, ging dieser als Sieger vom Platz, notabene drei Jahre vor der Machtergreifung Hitlers.

Mit diesem Schlüsselereignis in Mingers Lebenslauf beginnt der promovierte Historiker und versierte Journalist Konrad Stamm seine grosse Minger­Biografie. Damit gelingt es ihm, die Leserschaft für das Thema einzunehmen. In 25 Kapiteln lässt Stamm das Leben und Wirken Mingers an der Leserschaft vorüberziehen, wobei der Historiker mit journalistischen Methoden – und das ist hier keineswegs negativ gemeint – Interesse und Spannung über 400 Seiten hochhält. Die Schwerpunkte des Werks werden schon im Titel gesetzt: Bundesrat – Bauer. Minger selbst spielte gern mit diesem «Antagonismus». Als «einfacher Bauer» konnte er sich sowohl von der «freisinnigen Hochfinanz» abgrenzen als auch vom sozialistischen Internationalismus. Die personellen Verflechtungen zwischen dem schweizerischen Bauernstand und der sozialdemokratischen Arbeiterschaft waren traditionell eng. In vielen schweizerischen Bauernfamilien gab es Angehörige, die ihr Brot in den Fabriken verdienten.

Die besten Kapitel des Buchs sind diejenigen, die sich mit Mingers Bundesratszeit (1930–1940) befassen. Minger brachte, was wenigen Bundesräten vergönnt ist, sämtliche seiner Vorlagen zur Wiederaufrüstung der Armee durchs Parlament und durch die Volksabstimmungen. Es waren nicht nur Vorlagen zur Rüstungsfinanzierung – die spektakulärste unter ihnen, die Wehranleihe von 1936, machte Minger zu einem Plebiszit für die Landesverteidigung –, sondern auch solche zur Reorganisation der Armee und zur vorausschauenden Umstellung auf Kriegswirtschaft. Mingers grösstes Verdienst war aber die Einbindung der SP ins Konzept der bewaffneten Neutralität. Spannend geschildert wird auch Mingers Personalpolitik in der Armee, insbesondere die Zurückbindung des germanophilen Offiziersclans um den Generalssohn und Korpskommandanten Fritz Wille und die systematische Förderung von Henri Guisan.

Etwas zu kurz kommt dagegen der Volkstribun und Parteigründer, der am Anfang seiner politischen Karriere durchaus zu pubertären Rüpeleien fähig war, die ja auch heute bei expandierenden Parteien vorkommen. Seine Technik der flächendeckenden Gründung von Parteisektionen zwischen 1918 und 1920 (man funktionierte häufig den Vorstand der Milchgenossenschaft zum örtlichen Parteivorstand um) wäre eine nähere Untersuchung wert. Seither war lediglich Ueli Maurer als Parteisekretär ähnlich erfolgreich im Gründen von Sektionen. Den Leser, die Leserin würde interessieren, wie die heutige SVP ihren Begründer und Übervater wahrnimmt. Und vice versa stellt sich die Frage: Wie würde Minger heute seine Partei wahrnehmen? Nur nebenbei bemerkt sei, dass ausser Swisslos auch der Lotteriefonds des Kantons Bern und der Bären­Club der SVP Kanton Bern als Sponsoren des Werks firmieren. Das Buch musste offensichtlich zum Jubiläumsjahr der BGB/SVP vorliegen, und unter dem Zeitdruck litt die Sorgfalt bei Bibliografie und Anmerkungen.

Als Fazit lässt sich festhalten: Das Werk ist sicher nicht die abschliessende wissenschaftliche Biografie Mingers, was Stamm auch im Text mehrmals betont. Aber es ist faktenreich, gut geschrieben und seriös recherchiert. Die historische Einschätzung Mingers deckt sich grosso modo mit derjenigen in der Biografie von Hermann Wahlen von 1965. Minger ist der «einfache» Bauer, der trotz bescheidener Bildung durch hohe Intelligenz, gute Menschenkenntnis, Fleiss und Zielstrebigkeit in der Armee zum Oberst und in der Politik zum Bundesrat aufstieg und dann die Chance hatte, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu stehen. Er baute als Bundesrat die vernachlässigte Armee wieder auf, sodass General Guisan, den er zielstrebig und früh als Oberkommandierenden im Kriegsfall ausgewählt hatte, ein brauchbares Instrument in die Hand erhielt.

Zitierweise:
Christoph Zürcher: Rezension zu: Stamm, Konrad: Minger: Bauer, Bundesrat. Die aussergewöhnliche Karriere des Rudolf Minger aus Mülchi im Limpachtal. Zürich: NZZ Libro 2017. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 80 Nr. 3, 2018, S. 68-69.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 80 Nr. 3, 2018, S. 68-69.

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